Interview mit Dr. Stefan Plesser
Herr Dr. Plesser, der Bundestag hat kürzlich die Novelle des GEG – Gebäudeenergiegesetz verabschiedet. Wie bewerten Sie das Gesetz, das ja zuvor für viel Aufregung gesorgt hatte?
Wichtig ist, dass das Gesetz jetzt da ist und wir uns auf die Umsetzung konzentrieren können. Gut ist auch, dass der Fokus nicht so sehr auf der weiteren Reduzierung des Energiebedarfs liegt, denn hier haben wir ein ausbalanciertes Niveau aus Energiebedarf für Bau (Einsatz Grauer Energie zur Errichtung des Gebäudes) und Nutzung (Energie zum Betrieb des Gebäudes) erreicht. In Bezug auf die technischen Anlagen zur Energieversorgung wird das GEG verhindern, dass bei zukünftigen Neubauten und Sanierungen nicht mehr zukunftsfähige fossile Technologien eingesetzt werden.
Ein Wort zur Technologieoffenheit: Gebäude und die Versorgungsnetze sind langfristige Investitionen. Um sie in der Breite umzusetzen, sind klare Grundlagen erforderlich. Hier kann gerade eine vermeintliche Technologieoffenheit hinderlich sein. Der Einsatz von Wasserstoff als Brennstoff für die Raumheizung ist zwar technisch möglich, aber in den nächsten 30 Jahren überhaupt nicht wirtschaftlich zu erwarten. Viel wichtiger ist es, in den tausenden von Neubau- und Sanierungsprojekten die Verfahren und Entscheidungsprozesse zu beschleunigen, anstatt sie mit teuren Variantenuntersuchungen unsinniger Technologien zu belasten.
Ein großer Fortschritt sind einige Forderungen zur Gebäudeautomation. Zwar wird es voraussichtlich nicht gelingen, Neubauten und Sanierungen in den angestrebten kurzen Zeiträumen wie gefordert auszurüsten. Aber die grundsätzliche Forderung nach einem Technischen Monitoring für Nichtwohngebäude – im GEG §71a (1) unter dem Begriff „digitale Energieüberwachungstechnik“ – ist ein Quantensprung. Bauherren sollten diese Forderung nutzen und für alle Gebäude und Anlagen standardisierte Schnittstellen verlangen, um innovative Services zu ermöglichen und dabei einen „Vendor Lock“ weitestgehend zu vermeiden. Das Leistungsbild Technisches Monitoring durch einen unabhängigen Dritten entsprechend AMEV Empfehlung 158 hat sich hier als leistungsfähige und hochwirtschaftliche Dienstleistung am Markt etabliert und kann jetzt umfassend skaliert werden – für den Neubau, die Sanierung und jede einzelne Modernisierung einer technischen Anlage.
Stichwort Sanierung im Bestand: Was ist jetzt notwendig, damit Bestandsgebäude stärker in den Fokus rücken?
Gebäudeeigentümer sollten sich schnell einen Überblick über den energetischen Zustand ihrer Gebäude und mögliche Maßnahmen verschaffen. Diese Bewertung kann mit überschaubarem Aufwand erstellt werden. Sie bildet aber einen guten Ausgangspunkt für die notwendigen Maßnahmen zur Transformation in den nächsten gut 20 Jahren. Wichtig: Die wenigsten Gebäude erfordern sofortige große Investitionen. Vereinfacht kann man sagen: Es geht nicht darum, Investitionen vorzuziehen, sondern dann, wenn sie anstehen, die richtigen Maßnahmen zuzusetzen. Ein Gaskessel z.B. muss nicht sofort ausgebaut werden. Aber wenn er nach 20-25 Jahren Betrieb ersetzt werden muss, dann sollte es Fernwärme oder eine Wärmepumpe sein. Kurzfristig ist eigentlich nur eine Maßnahme notwendig und das ist ein Technisches Monitoring des Gebäudebetriebs, mit dem der Betrieb sofort um 10-20% verbessert werden kann und auch die notwendigen Daten für das Reporting erfasst werden.
Auch im Umfeld der EXPO Real war viel von digitalen Lösungen bei der Gebäudetechnik die Rede. Wie viel Technik und „Intelligenz“ brauchen Gebäude überhaupt?
Die Baubranche hinkt bei der Steigerung der Produktivität anderen Branchen deutlich hinterher. Deshalb ist es dringend notwendig, dass sie sich mit den Potentialen der Digitalisierung beschäftigt. Allerdings gilt auch hier, dass Digitalisierung kein Selbstzweck sein sollte. Die zusätzliche Technisierung von Gebäuden, z.B. im Bereich der mechanischen Belüftung und der Einzelraumregelung, bietet Chancen in Bezug auf Raumkomfort und zum Teil auch in Bezug auch die Energieeffizienz. Die Herausforderungen liegen hier in der Wirtschaftlichkeit, den notwendigen bzw. verfügbaren Fachkräften und der Qualität der Umsetzung. Ohne ein Technisches Monitoring sollten solche Maßnahmen nicht umgesetzt werden.
Das Technische Monitoring ist übrigens ein hervorragendes Beispiel für erfolgreiche Digitalisierung am Bau. Hier konnten wir in den letzten Jahren eine neue hochwertige Dienstleistung nur deshalb einführen, weil der Prozess nahezu vollständig digital erbracht werden kann. Deshalb sehe ich auch gute Chancen, dass die Forderung im GEG nach einem Technischen Monitoring als Qualitätsmanagement erfolgreich umgesetzt werden kann und nicht am Fachkräftemangel scheitert. Und mit der Forderung nach einem Technischen Inbetriebnahmemanagement in GEG §71a(3) ist auch sichergestellt, dass auf der Seite der Fachplaner und Errichter die notwendigen Leistungen zu Nachregulierung der Anlagen im ersten Betriebsjahr nach Innutzungnahme erbracht und honoriert werden.
Bis zum 30. September 2023 sollten Eigentümerinnen und Eigentümer von Mehrfamilienhäusern mit mehr als zehn Wohnungen einen hydraulischen Abgleich machen. Ist bereits ein Zwischenfazit möglich: Ein Erfolg für das Klima und die Effizienz?
Nach unserer Kenntnis ist hier wir zu erwarten fast nicht passiert. Ein hydraulischer Abgleich einschließlich Bestandsaufnahme, Planung inklusive der Berechnungen zur Auslegung des Heizungsgesetzes und die Umsetzung im Gebäude kostet in Mehrfamiliengebäuden leicht 1.000 € je Wohnung. Neben den Kosten ist die Verfügbarkeit der notwendigen Fachplaner und Ausführenden ein Engpass, der diese Maßnahme – unabhängig von ihrer Sinnhaftigkeit – das Nadelöhr. Genau hier brauchen wir innovative Ansätze und genau hier kann auch die Digitalisierung helfen. Wir haben z.B. gerade ein digitales Heizungsmonitoring auf den Markt gebracht, das man einfach bestellt und selbst installiert werden – ganz ohne Fachplaner. Ein vollständig digitalisierter Prozess und die KI-basierte Auswertung ermöglichen konkrete Maßnahmen zu Betriebsoptimierung innerhalb von 2 Woche nach Bestellung und das bei einem Preis von nur etwa 10% eines hydraulischen Abgleichs. Das ist ein echter Gewinn für die Branche und ein sinnvoller Einsatz für Digitalisierung und KI.